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    DAS SALZ DES ERNTES, DER PFEFFER DES HUMORS

 

Die moderne Kunst ist ein Schwindel! Eine Pauschalbehauptung, der man, lautstark vorgetragen, auch im 21.Jahrhundert immer noch begegnet. Wenn die, die sie mit einer eigentümlichen Mischung von moralischer Entrüstung und augenzwinkernder Bescheidwisserei in die Welt posaunen, doch endlich auf die Bilder von Alexander Besel stießen! Sie würden sich zutiefst bestätigt fühlen. Nanu. Entlarvt das diesen Maler demnach als Betrüger, Hochstapler, Scharlatan? Im Gegenteil. Mit seiner Malerei führt er das Publikum zum Urerlebnis dessen zurück, was Schwindel eigentlich heißt. Her also mit dem Etymologischen Wörterbuch: swintilōn – das bedeutet im Althochdeutschen, um 800 also, nämlich: „in Ohnmacht fallen“, zumindest aber „ein Taumelgefühl, einen Schwindel empfinden“. Viel später erst kam die negative Variante des Lügnerisch-Betrügerischen hinzu. Bei Alexander Besel jedoch ist es eine höchst integere Kreuzung von handwerklichem Können und ungezähmter Phantasie, die aus ihm einen Meister gemacht hat in der raren Disziplin, den Bildbetrachtern den Boden unter den Füßen wegzuziehen.

Das fängt ganz harmlos an, vielleicht nur mit einem Kribbeln in der Solarplexus-Region. Doch schon projiziert Besel die Schmetterlinge, die andere im Bauch haben, hinaus ins Universum.

Besels Bilder die solide Welt – ob alpine Massive, ob venezianische Kanäle – quetschen, strecken und wellen wie eine Ziehharmonika, steckt dahinter natürlich ein gerüttelt Maß Spaß am visuellen Spiel mit der Wirklichkeit. Jeder Maler ist ein Augenmensch. Doch erschöpft sich besagtes „forscherisches“ Interesse darin nicht. Alexander Besel, der die jüngsten Serien mit ihren wilden Anamorphosen mit der Kamera vorbereitet hat, doch ohne Beihilfe von digitalen Morphing-Programmen, will über das Strudeln der Formen unsere Wahrnehmung ins Strudeln bringen. Mit seinen Zerrbildern wie mit anderen extremen, zuweilen gezielt unlogischen Perspektiven rührt er letztlich an die Frage, ob nicht unsere Sicht der Wirklichkeit nur eine unter vielen möglichen ist. Die Frage, wie zuverlässig unsere Erinnerung – sagen wir: an eine gewisse italienische Lagunenstadt – funktioniert, oder ob Erinnerung nicht insgesamt ein träge zusammengeronnenes, trügerisches Konstrukt ist, darin sich, was einst direkt empfangene Sinnesdaten waren, längst zum Kaum-Wiedererkennen verwandelt hat​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​.

 

© Dr. Roland Held, Darmstadt

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